Warum 3D-Audio die Live-Branche revolutioniert
Live-Veranstaltungen leben stets davon, das Publikum durch intensive Erlebnisse in ihren Bann zu ziehen. In den vergangenen Jahren jedoch hat Immersive Audio die Art und Weise revolutioniert, wie Klang in Kinos, Heimkinos, mittels Air Pods und mittlerweile zunehmend auch bei Live-Veranstaltungen erlebt werden kann und wird. Was zunächst in der Filmindustrie als neue Stufe der akustischen Darstellung eingeführt wurde, wird inzwischen konsequent auf Konzerte, Theaterproduktionen, Festivals und Open-Air-Veranstaltungen übertragen. Der Grund für diesen Wandel liegt maßgeblich in den veränderten Erwartungen des Publikums, aber auch in den gesteigerten Möglichkeiten der kreativen und technischen Umsetzung und letztlich in daraus resultierenden sinkenden Schalldruckpegeln. Zuschauer erwarten nicht nur klaren Klang, sondern zunehmend auch eine emotionale Bindung durch Sounddesign, das die Macht des Klangs im Digitalzeitalter voll ausnutzt.
Durch hochwertige Heimkinoanlagen und immersiv produzierte Kinofilme hat sich die Wahrnehmung akustischer Qualität und realitätsnaher Klangwiedergabe deutlich verändert. Zwar ist es auch bei Stereosignalen möglich, Objekte im Raum zu bewegen, jedoch sind die Möglichkeiten begrenzt und aufwendig. Konzert- und Veranstaltungsbesucher erwarten demnach zunehmend nicht mehr nur klare und laute Musik oder verständliche Sprache, sondern ein umfassendes, dreidimensionales Hörerlebnis, das sie tief in die dargebotene Performance eintauchen lässt – ob Rockkonzert unter freiem Himmel, Opernabend in einem altehrwürdigen Haus oder Musical-Show in einer modernen Multifunktionshalle.
Diese Entwicklung stellt Veranstalter, Tonmeister und Beschallungsunternehmen gleichermaßen vor neue Herausforderungen. Klassische Beschallungssysteme, die jahrzehntelang das Rückgrat von Live-Events bildeten, stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Besonders in puncto Schallverteilung und Lautstärkeverhältnisse zwischen Bühne und Publikum können traditionelle Stereo-Systeme den Ansprüchen audiophil geschulter Ohren kaum noch gerecht werden. Inspiriert von den objektbasierten Formaten, die bereits im Kino (Dolby Atmos, DTS:X) oder in Musikproduktionen (z. B. Sony 360 Reality Audio) Fuß gefasst haben, erobern 3D-fähige Beschallungs- und Rendering-/Routingsysteme nun zunehmend auch die Bühne. Dabei geht es nicht nur um den „Wow-Effekt“, sich um das Publikum herum bewegender Klangobjekte, sondern um ganz praktische Vorteile: Eine klarere Durchhörbarkeit komplexer Arrangements, weniger Schallpegel und die Möglichkeit, Konzerte, Theater- und Opernaufführungen völlig neu zu inszenieren. Immersive Audio-Technologien bieten hier entscheidende Vorteile. Durch eine objektbasierte und räumlich differenzierte Positionierung der einzelnen Klangobjekte wird es möglich, jedem Besucherplatz ein optimales Hörerlebnis zu bieten – unabhängig von dessen Entfernung oder Position zur Bühne. Darüber hinaus eröffnen immersive Lösungen neue kreative Ausdrucksmöglichkeiten für Künstler und Techniker. Sie ermöglichen es, die akustische Wahrnehmung präzise zu gestalten und zu steuern, um das Publikum gezielt emotional und kognitiv in die Performance einzubeziehen.
Wie funktioniert Immersive Audio im Live-Kontext, welche technologischen Entwicklungen und Workflows gibt es und welche Chancen, Vorteile oder Herausforderungen ergeben sich für Open-Air-Festivals, Opernhäuser, Theater und Konzerthäuser oder andere Anwendungsbeispiele immersiver Audiotechnologien im Live-Bereich? Wir zeigen praxisnahe Beispiele – etwa von d&b Soundscape, L‑ISA (L‑Acoustics), Kling & Freitag KF Scala oder Meyer Sound Spacemap Go – und setzen diese in einen größeren Kontext.
Lautsprecherinstallationen und -technologien von der Stereo-PA hin zu immersiven Systemen
Für eine gelingende Beschallung von Live-Events sind einerseits die installierten Lautsprechersysteme von Relevanz sowie deren Einmessung und Anpassung an die akustischen Begebenheiten der zu beschallenden Location und andererseits natürlich die Ansteuerung. Bekommen die Lautsprecher dasselbe Signal oder differenzierte Mischsignale?
Seit den 1960er-Jahren waren dabei Stereo-PAs (PA steht für Public Address und meint Systeme zur Beschallung eines Publikums) im Einsatz, bei denen die Hauptlautsprecher (Left und Right) links und rechts der Bühne stehen. Für große Veranstaltungen kamen später Line Arrays zum Einsatz, die den Schall gleichmäßiger verteilen und in den hinteren Reihen weniger Pegelabfall verursachen.
Historische Entwicklung und technischer Vergleich verschiedener Lautsprechersysteme
Historische Lautsprechersysteme der 1970er und 1980er Jahre
In den 1970er und 1980er Jahren prägten hauptsächlich große Punktschallquellen, sogenannte Point-Source-Systeme, die Live-Beschallung. Diese kommen je nach Einsatzzweck auch heute noch zum Einsatz, aber nicht hauptsächlich, wenn es um die Beschallung größerer Publikumsmengen geht. Bekannte Systeme wie das legendäre Clair Brothers S4 oder diverse JBL-Konzertlautsprecher zeichneten sich vor allem durch hohe Pegel und robuste Bauweise aus. Diese Systeme konnten große Mengen an Schalldruck erzeugen, kämpften jedoch oft mit inkonsistenter Schallverteilung und erheblichen Lautstärkeunterschieden zwischen vorderen und hinteren Zuhörerreihen. Ein typisches Problem war, dass Konzertbesucher direkt vor der Bühne häufig mit extrem hohen Lautstärken konfrontiert waren, während in hinteren Bereichen der Schalldruck oft deutlich abfiel.
Technologischer Umbruch: Einführung der Line Arrays (ab den 1990ern)
In den 1990er Jahren brachte die Einführung der Line Array-Technologie, insbesondere durch L-Acoustics und deren wegweisendes V-DOSC-System, eine entscheidende Veränderung im Bereich der Live-Beschallung mit sich. Line Arrays bestehen aus vertikal angeordneten Lautsprecherelementen, die gemeinsam eine kohärente Linienquelle (Zylinderschallwelle) bilden. Eine Zylinderschallwelle ist eine spezielle Art der Schallausbreitung, bei der die Schallwellen nicht kugelförmig, sondern entlang einer zylindrischen Wellenfront abgestrahlt werden. Dies tritt typischerweise bei länglichen oder linearen Schallquellen auf, wie z. B. bei idealen Line-Array-Lautsprechersystemen. Im Gegensatz zu einer kugelförmigen Schallwelle (die mit zunehmender Entfernung um 6 dB pro Verdopplung der Distanz an Pegel verliert) nimmt der Pegel einer Zylinderschallwelle nur um 3 dB pro Verdopplung der Entfernung ab. Dadurch kann eine gleichmäßigere Schallverteilung über größere Distanzen erreicht werden, was insbesondere für große Beschallungsanwendungen von Vorteil ist.
Diese Erfindung der Line-Arrays ermöglichte also erstmals eine gleichmäßigere und besser kontrollierte Schallverteilung über große Entfernungen hinweg. Neben L-Acoustics etablierten auch andere Hersteller wie Meyer Sound, Kling & Freitag, JBL, d&b audiotechnik u.v.m. Line Array-Systeme, die rasch zu Branchenstandards bei Großveranstaltungen wurden.
Digitale Lautsprechersteuerung und die Entwicklung des Beam Steering
Ab den frühen 2000er Jahren traten digitale Beam-Steering-Technologien zunehmend in den Vordergrund. Schon erste Systeme, wie das MLA-System von Martin Audio oder die Matrix-Arrays von HOLOPLOT, erlauben eine präzise Steuerung des abgestrahlten Schalls in gewünschte Publikumsbereiche. Ziel des Beam Steerings ist es, unerwünschte Bereiche vom Schall auszusparen und somit einerseits die Klangqualität zu verbessern oder Reflexionen zu reduzieren und andererseits die Einhaltung von Lärmschutzauflagen effektiv zu fördern, indem bewohnte Gebiete von der zu beschallenden Fläche abgegrenzt werden können.
Diese Vorteile sind insbesondere in urbanen oder umweltsensiblen Regionen von Bedeutung, in denen Veranstalter strenge Lärmschutzauflagen einhalten müssen. Durch den gezielten Einsatz immersiver Technologien können Events selbst in dicht besiedelten Gebieten realisiert werden, ohne die Anwohner unangemessen zu belasten. Aus einer nachhaltigen Perspektive führt die geringere Lautstärke zudem zu weniger Belastung der Umwelt sowie des menschlichen Gehörs, was langfristig positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Publikum und Personal hat. Insgesamt tragen immersive Audio-Lösungen somit dazu bei, Live-Veranstaltungen sozial verträglicher und umweltfreundlicher zu gestalten.
Herausforderungen klassischer Beschallungskonzepte
Unabhängig von der Art der verwendeten Lautsprecher jedoch kommen herkömmliche Beschallungskonzepte vor allem bei kleineren Installationen oder in akustisch schwierigen Umgebungen an ihre Grenzen, weil Sie das Publikum zwar gleichmäßig mit Schall erreichen, aber für optimalen Klang nicht jedes Bühnensignal gleich laut für jeden Zuschauerplatz verstärkt werden dürfte. Hierzu braucht es ganz andere Formen der Signalverteilung und Ansteuerung.
Direktschall vs. Lautsprecherschall – die zentrale Problematik
Eines der größten Probleme traditioneller Beschallungssysteme liegt in der ungünstigen Balance zwischen Bühnen-Direktschall und Lautsprecherschall. Insbesondere laute Quellen wie Schlagzeuge, Bläser oder Gitarrenverstärker erzeugen nicht unerhebliche Probleme, da sie den Klangmix in den ersten Reihen oft dominieren, während sie in den hinteren Bereichen des Publikums wie gewollt hörbar sind. Dies führt dazu, dass Zuschauer in verschiedenen Bereichen völlig unterschiedliche Hörerlebnisse haben. Doch woran liegt das? Egal wie gut eine PA eingemessen wurde, sind einzelne Signale, auch wenn der Mix über Kopfhörer am Front of House perfekt ist, im Frontfillmix zu laut, weil der wahrnehmbare Anteil an Direktschall von der Bühne noch sehr dominant ist.
Konsequenzen für die Toningenieure und das Klangbild für die Zuschauer
Für Toningenieure (Front-of-House Engineers) besteht immer die Herausforderung, ein für alle Zuhörer gleichmäßiges Klangerlebnis zu schaffen. Je diverser und dynamischer allerdings die Quellen auf der Bühne sind, desto schwieriger wird dies mit herkömmlichen Stereo-Setups – bzw. ist wird nahezu unmöglich. Insbesondere laute Bühnenquellen wie Schlagzeuge oder Gitarrenverstärker erschweren es erheblich, das gewünschte Klangbild und eine konsistente Qualität über den gesamten Publikumsbereich hinweg zu gewährleisten. Ein optimaler Mix am Mischpultplatz stellt selten einen optimalen Mix für die Zuhörer dar, besonders nicht in den vorderen Reihen.
Die Konsequenzen dieser Problematik sind signifikant: Zuschauer in unmittelbarer Nähe zur Bühne sind oft übermäßig lauten und unausgewogenen Pegeln ausgesetzt. Um diese Herausforderungen zu meistern, gewinnen immersive Audiotechnologien zunehmend an Bedeutung, da sie durch gezielte, räumlich differenzierte Beschallungslösungen die Limitierungen klassischer Systeme überwinden können. Die fehlende Homogenität und Qualität des Klangbilds führen sonst womöglich zu vermindertem Hörgenuss.
Objektbasierte & immersive Livebeschallung und die Signalverteilung
In konventionellen PA-Setups (Stereo, ggf. plus Outfill oder Delay Lines) werden alle Instrumente, Stimmen und Effekte auf wenige Kanäle summiert. Das Publikum hört also links, rechts und evtl. noch ein Center Signal, um die Mitte vor der Bühne aufzufüllen (allerdings nicht mit separat gemischtem Signal).
Demgegenüber setzt objektbasiertes 3D-Live-Audio auf mehrere Lautsprecherzonen: Neben einer größeren Anzahl an Frontlautsprechern kommen hier Surround Lautsprecher und ggf. ein Height Layer dazu. Der Clou liegt darin, dass die Signale einerseits anhand klarer mathematischer Koordinaten und nicht nach Gehör und andererseits nicht mehr nur in der Horizontalen, sondern auch in der Vertikalen platziert werden können um virtuellen Raum zu simulieren. Ein tieferes Verständnis der technologischen und psychoakustischen Hintergründe objektbasierter Audiotechnik bildet dabei die Grundlage, um Klangobjekte optimal im Raum zu positionieren und die psychoakustische Wahrnehmung gezielt zu steuern.
Psychoakustische Grundlagen immersiver Systeme im Live-Kontext
Während im Studio oft Kopfhörer oder akustisch optimierte Abhörumgebungen genutzt werden, sieht die Live-Welt deutlich variablere Raumbedingungen. Ein weitläufiges Open-Air-Festival hat beispielsweise keine Wände, die den Schall reflektieren, während in einem Opernhaus viele Reflexionen den Gesamtklang prägen. 3D-Audio-Systeme können hier gezielt Reflexionen oder simulierte Hallräume einbringen, um eine bestimmte Klangatmosphäre zu erzeugen.
Gleichzeitig spielt die emotionale Wirkung von räumlichem Klang eine entscheidende Rolle. Studien belegen, dass Zuhörende sich stärker „eingebunden“ fühlen, wenn Musik und Effekte sie von allen Seiten umgeben. Gerade in Open-Air-Situationen kann dies die fehlende natürliche Raumakustik teilweise kompensieren und das Konzerterlebnis intensivieren, ähnlich wie es in modernen hybriden Konzertsälen mit adaptiver Raumakustik durch immersive Audio-Technologien bereits erfolgreich realisiert wird. Zudem führt die verbesserte Ortungsfähigkeit dazu, dass Zuhörer Klänge intensiver und detailreicher wahrnehmen (subjektiver Hörgenuss), selbst bei insgesamt geringeren Lautstärkepegeln (reduzierter Belastung fürs Gehör).
Objektbasiertes Audio erobert die Bühne
Der eigentliche Durchbruch kam mit objektbasierten Audioformaten und Renderern, die in Echtzeit berechnen können, wie Klangobjekte (z. B. ein Gitarren-Solo oder eine Sängerstimme) auf das vorhandene Lautsprechersystem zu verteilen sind.
Beim objektbasierten Ansatz definieren ToningenieurInnen und SounddesignerInnen keinen Kanal für die Wiedergabe, sondern lediglich Koordinaten. Jedes Instrument oder jede Stimme kann so individuell und unabhängig von anderen Klangelementen gesteuert und platziert werden. Dies erlaubt eine feinere Kontrolle über die räumliche Abbildung und steigert das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein. Der sogenannte Renderer verteilt die Klangobjekte dann auf die verfügbaren Lautsprecher – egal, ob es sich um ein großes Surround-Array oder nur um ein erweitertes Stereo-Setup handelt. So ist es möglich, dass eine Sopranstimme tatsächlich von oben oder von hinten zu kommen scheint, oder dass ein komplexer Orchesterpart sich um das Publikum herum „auffächert“.
Hersteller wie d&b audiotechnik (Soundscape), L‑Acoustics (L‑ISA) oder Meyer Sound (Spacemap Go) haben dedizierte Hardware- und Softwarelösungen entwickelt, die speziell auf Live-Anwendungen zugeschnitten sind. Dadurch wurde es möglich, immersive, objektbasierte Mischungen nicht nur im Kino, sondern auch in Open-Air-Settings oder in Theatern umzusetzen.
Objektbasierte Audiotechnik in Stereo-Setups
Auch ohne dreidimensionale Lautsprechersetup bietet objektbasiertes Audio erhebliche Vorteile. Ergänzt man bestehende Stereo-Systeme durch zusätzliche Höhenkanäle (z.B. Front-Height-Lautsprecher), entstehen neue Möglichkeiten zur gezielten Schallverteilung. Insbesondere laute Schallquellen können so besser und homogener für alle Zuhörer kontrolliert werden, was sowohl die Klangqualität verbessert als auch den Gesamtschallpegel reduziert. Veranstaltungen profitieren demnach grundsätzlich davon, wenn objektbasierte Technologien zum Einsatz kommen, ob Stereo oder 3D.
Praxisbeispiel: Bereits durch die Integration lediglich zusätzlicher Front-Height-Kanäle können besonders laute Bühnenquellen gezielt verteilt und von den Hauptlautsprechern entlastet oder auch weiter oben im Line-Array positioniert werden. Becken oder Bläser lassen sich zum Beispiel räumlich präzise über diese Kanäle positionieren, was zu einem deutlich homogeneren Klangbild führt und zu reduzierten Lautstärkeunterschieden. Dadurch verbessert sich nicht nur das Klangbild, sondern auch die Arbeitsbedingungen für Toningenieure und die Publikumszufriedenheit erheblich, da der Mix an jedem Platz gleichmäßig und authentisch wirkt.
Ein Chor, der in einem Opernhaus tatsächlich auf einem erhöhten Podest hinter dem Orchester steht, kann klanglich ebenfalls „über“ dem Orchester platziert werden. Das Publikum nimmt so nicht nur lautstärkemäßig, sondern auch räumlich wahr, dass die Stimmen von weiter oben erklingen.
Objektbasierte Immersive Audio-Technologien und die Anwendung in der Praxis
Detaillierte Betrachtung wichtiger Systeme
d&b Soundscape
Das d&b Soundscape-System besteht aus den Modulen En-Scene und En-Space, welche jeweils unterschiedliche, sich ergänzende Funktionen bieten. Das Modul En-Scene ermöglicht eine präzise, objektbasierte Positionierung und Bewegung von Klangquellen innerhalb eines definierten Raums. Damit kann eine realistische räumliche Ortbarkeit erzeugt werden, die den Zuhörer tief in die Klangumgebung eintauchen lässt. En-Space hingegen simuliert unterschiedliche Raumakustiken virtuell und nutzt dabei Impulsantworten realer Räume oder algorithmisch generierte Räume. Dies ermöglicht sowohl in geschlossenen Räumen als auch bei Open-Air-Veranstaltungen eine authentische Konzertsaalakustik. Dank der Integration beider Module lässt sich eine immersive Klangerfahrung schaffen, die weit über herkömmliche Stereo- oder Surround-Systeme hinausgeht und individuelle Anpassungen an Veranstaltungsorte und Anforderungen erlaubt.
L-Acoustics L-ISA
L-Acoustics entwickelte mit L-ISA (Immersive Sound Art) ein hochentwickeltes objektbasiertes Beschallungssystem, das besonders im Tournee- und Konzertbereich beliebt ist. L-ISA setzt auf eine horizontale und vertikale Ausbreitung der Klangobjekte, wodurch eine besonders homogene Klangverteilung erzielt wird. Ein wichtiger Vorteil des Systems ist die Möglichkeit, einzelne Schallquellen unabhängig voneinander im dreidimensionalen Raum zu platzieren, dynamisch zu bewegen und unabhängig voneinander über das gesamte Lautsprechernetzwerk zu verteilen. Das Klangbild wirkt dadurch natürlich und konsistent, die Klangquellen werden deutlich besser voneinander getrennt wahrgenommen. Der Fokus liegt auf einer natürlichen, präzisen Klangortung, was eine tiefere Immersion ermöglicht und zugleich eine Reduktion der Gesamtlautstärke erlaubt. Künstlerinnen und Künstler sowie Technikerinnen und Techniker schätzen die Möglichkeit, kreative und gleichzeitig präzise Mischungen zu realisieren, die auch in schwierigen akustischen Situationen eine exzellente Klangqualität sicherstellen.
Meyer Sound Spacemap Go
Die von Meyer Sound entwickelte Spacemap Go-Software bietet eine flexible Plattform für immersive Audioproduktionen, welche Klangquellen dynamisch und interaktiv steuern kann. Über eine benutzerfreundliche Oberfläche lassen sich Audio-Objekte in Echtzeit positionieren und auf einem virtuellen Layout intuitiv bewegen. Hierbei kommen verschiedene Algorithmen zum Einsatz, um die Klangobjekte klar voneinander abzugrenzen und unerwünschte Klangüberschneidungen zu verhindern. Besonders vorteilhaft ist die Möglichkeit, spontan und interaktiv auf das Geschehen während einer Aufführung zu reagieren, da das System von einem Tablet oder einer anderen mobilen Steuerungsoberfläche aus bedient werden kann. Somit bietet Spacemap Go eine praktische und flexible Lösung für immersive Sounddesigns in Theatern, Musicalproduktionen oder Live-Shows.
Fraunhofer SpatialSound Wave
Das System SpatialSound Wave des Fraunhofer Instituts IDMT zählt zu den Pionieren im Bereich objektbasierten Audios. SpatialSound Wave berechnet auf Basis hochentwickelter Algorithmen die exakte Positionierung einzelner Klangobjekte innerhalb einer dreidimensionalen Klanglandschaft in Echtzeit. Der Vorteil des Systems liegt vor allem darin, dass es sich exakt an die akustischen Gegebenheiten anpasst, unerwünschte Reflexionen reduziert und die Schallenergie gezielt nur dorthin lenkt, wo sie benötigt wird. Die Verarbeitung erfolgt durch Hochleistungsprozessoren, wodurch nahezu keine hörbaren Artefakte entstehen, was insbesondere bei komplexen Opern- und Theaterproduktionen geschätzt wird.
Kling & Freitag Scala
Das K&F SCALA-System kombiniert einen leistungsfähigen immersiven Audio-Prozessor mit objektbasierter Audiobearbeitung. Es bietet bis zu 128 Ein- und Ausgangskanäle und unterstützt gängige Audio-Netzwerkformate wie Dante und MADI. SCALA ermöglicht die dynamische Positionierung und Bewegung einzelner Klangobjekte in Echtzeit, sowohl für Live-Quellen als auch für vorproduzierte Inhalte. Ein besonderer Vorteil ist die Möglichkeit, mehrere parallele Mix-Busse gleichzeitig zu betreiben, wodurch verschiedene Mischungen – etwa für Publikum, Broadcast oder Streaming – simultan generiert werden können. Das System eignet sich ideal für Theater, Opernhäuser und anspruchsvolle Live-Beschallungen.
Fallbeispiele: Praktische Erfahrungen und technische Umsetzung
Zahlreiche Veranstaltungen haben bereits unter Beweis gestellt, dass immersive Lösungen auch in Livesituationen Sound effektiv homogenisieren. Veranstalter berichten regelmäßig von zufriedeneren Besuchern und einer geringeren Belastung der Zuhörer durch geringere Schalldruckpegel.
„Klassik am Odeonsplatz“ in München (klassisches Konzert Open Air)
Eines der bekanntesten Beispiele für 3D-Sound im Freien ist das Münchner Open-Air-Event „Klassik am Odeonsplatz“. Hier kam unter anderem schon mehrfach das d&b Soundscape-System zum Einsatz, das mithilfe mehrerer Lautsprecherarrays rund um den Platz ein immersives Klangfeld erzeugte. Durch den Einsatz der Module En-Scene und En-Space konnte eine realistische Konzertsaalakustik geschaffen werden, obwohl die Veranstaltung Open-Air stattfand, wo es kaum Reflexionen oder „Raumgefühl“ gibt. Die Klangquellen wurden objektbasiert positioniert und über das System gerendert, was für alle Zuschauer eine einheitlich hochwertige Klangerfahrung unter dem Eindruck eines Konzertsaals ermöglichte.
Vor allem zeigt die Resonanz des Publikums, dass Open-Air-Events mit 3D-Audio an Beliebtheit gewinnen. Die Begeisterung für eine „Surround-ähnliche“ Erfahrung im Freien ist groß, was Veranstaltern neue Möglichkeiten eröffnet, sich von der Konkurrenz abzuheben.
Vorteile:
- Räumliche Tiefe: Eine simulierte Akustik kann das Fehlen natürlicher Reflexionen kompensieren.
- Klarheit: Objektbasiertes Mischen ermöglicht eine bessere Durchhörbarkeit komplexer Arrangements.
- Atmosphäre: Effekte oder Ambience können rund um das Publikum platziert werden, was das Gesamterlebnis intensiviert.
- Ergo: Das Orchester klang auch für hintere Reihen detailreich und räumlich, obwohl die Schallquelle (Bühne) relativ weit entfernt war.
Grenzen:
- Wetter- und Umgebungsgeräusche: Wind, Verkehrslärm und Regen können die Illusion eines Konzertsaals stören.
- Aufbau und Logistik: Mehrere Lautsprecherarrays müssen präzise positioniert und eingemessen werden, was Zeit und Personal erfordert.
- Kosten: Aufwändige 3D-Setups sind teurer als konventionelle PA-Systeme.
Opernhaus Zürich & Fraunhofer SpatialSound Wave (Oper und Theater)
Auch in geschlossenen Räumen, die bereits eine eigene Akustik mitbringen, gewinnt Immersive Audio an Bedeutung. Das Opernhaus Zürich arbeitete zeitweise mit dem Fraunhofer-Institut, um mithilfe des SpatialSound-Wave-Systems eine innovative Klangbühne zu erschaffen und in akustisch schwierigen Bereichen des Saales eine optimale und immersive Klangqualität sicherzustellen. Dabei wurden mehrere Mikrofone im Orchestergraben und auf der Bühne eingesetzt, die Signale in Echtzeit an ein objektbasiertes System weiterleiteten. Dieses System verteilte die Audiosignale dann auf ein Netzwerk von Lautsprechern im Zuschauerraum und an den Seiten, um die Klangverteilung gezielt zu steuern. So profitieren Besucher unabhängig von ihrer Sitzposition von einem räumlich konsistenten und detailreichen Klangbild.
Dank des Systems kann das Opernhaus Zürich Klangquellen im Raum positionieren, was insbesondere für moderne Aufführungen mit elektronischen Elementen interessant war. Außerdem erlaubte es dem Soundteam, bestimmte Teile des Orchesters oder der Bühne klanglich hervorzuheben – beispielsweise bei szenischen Effekten oder bei Passagen, in denen Gesang und Orchester sonst zu sehr „ineinander verschmelzen“ würden.
Tomorrowland, British Summer Time Festival (Festivals und Großveranstaltungen)
Auch Großveranstaltungen wie das Tomorrowland-Festival oder das British Summer Time Festival nutzen immersive Audiotechnologien, um eine präzise Klangsteuerung zu realisieren. Insbesondere Beam-Steering-Technologien ermöglichen es, gezielt nur diejenigen Bereiche zu beschallen, die für die Veranstaltung vorgesehen sind, während unerwünschte Klangabstrahlung deutlich reduziert wird. Dies verbessert nicht nur die Klangqualität, sondern erfüllt auch strenge Lärmschutzauflagen, was die Akzeptanz der Veranstaltungen in sensiblen urbanen Umgebungen erhöht.
Monitoring für MusikerInnen: Orchestergraben-Simulation
Eine weitere praxisrelevante Anwendung immersiver Audiotechnologien ist das Monitoring für Musiker auf der Bühne. Bei Open Air Aufführungen ist es oft eine Herausforderung, dass sich MusikerInnen nicht optimal hören, die es gewohnt sind, im Orchestergraben zu spielen – besonders, wenn sie weit voneinander entfernt sitzen. 3D-Audio-Systeme können hier Abhilfe schaffen, indem sie ein eigenes, auf die MusikerInnen abgestimmtes Monitoring-Signal mittels virtueller Imitierung des gewohnten Orchestergrabens erstellen, wodurch Musiker ein authentisches Gefühl für Raum und Dynamik erhalten. Immersive Monitoring ermöglicht es, auf der Bühne realistische virtuelle akustische Umgebungen zu simulieren, die das Zusammenspiel und die Interaktion der Musiker maßgeblich verbessern können. Zahlreiche Erfahrungsberichte bestätigen, dass Musiker durch immersive Monitoring-Systeme nicht nur komfortabler und sicherer spielen, sondern auch ihre musikalische Leistung steigern können, was letztlich zu einer verbesserten Gesamtqualität der Aufführungen führt.
Workflow und Systemplanung
Timecode, Automation und Personalbedarf
Anders als in klassischen Stereo- oder Surround-Produktionen erfordert eine 3D-Live-Beschallung einen komplexeren Workflow. Häufig müssen Timecode-gesteuerte Automationseffekte integriert werden, wenn etwa bestimmte Klangobjekte an exakt definierten Punkten im Raum erscheinen sollen. Das erfordert eine enge Abstimmung zwischen Tontechnik, Regie, Orchesterleitung und ggf. Licht- und Videoteams.
Auch der Personalbedarf kann steigen: Neben dem Haupttonmeister, der den Gesamtmix verantwortet, sind oft weitere TechnikerInnen nötig, um die zahlreichen Kanäle und Objektpositionen in Echtzeit zu kontrollieren. Gerade bei aufwendigen Opern- oder Musicalproduktionen mit vielen Zuspielern und elektronischen Effekten ist die Koordination zwischen Bühne, Orchester und Tonregie eine Herausforderung.
OSC (Open Sound Control) als universelles Steuerprotokoll
Open Sound Control (OSC) ist ein offenes und flexibel einsetzbares Netzwerkprotokoll, das ursprünglich am Center for New Music and Audio Technologies (CNMAT) an der University of California, Berkeley entwickelt wurde. Es wurde konzipiert, um MIDI zu ergänzen bzw. zu ersetzen und bietet eine erweiterte, netzwerkbasierte Steuerung für Musikinstrumente, Bühnen- und Studiotechnik sowie Multimediasysteme. OSC zeichnet sich durch hohe Flexibilität, geringe Latenz und eine strukturierte, lesbare Syntax aus. Steuerbefehle werden dabei in Form von hierarchisch gegliederten Textnachrichten gesendet, was die Integration in komplexe Umgebungen und individuelle Anpassungen erheblich erleichtert. Da OSC unabhängig ist, lässt es sich sowohl auf Hardware- als auch Software-Ebene einsetzen. Die meisten aktuellen immersiven Audio-Systeme unterstützen OSC standardmäßig, wodurch die Kommunikation zwischen Mischpult, Computer, Lichtanlagen und anderen Steuerungsgeräten in Echtzeit vereinfacht wird. Dies ist insbesondere bei aufwendigen Show-Produktionen (Theater, Musicals, interaktive Performances) von Vorteil, da so präzise und verlässliche Steuerungen der Audioparameter möglich sind.
Herausforderungen bei der Umsetzung immersiver Live-Systeme
Die Implementierung immersiver Audiotechnologien bei Live-Veranstaltungen bringt neben zahlreichen Vorteilen auch einige Herausforderungen mit sich. Technisch gesehen ist der Aufbau immersiver Systeme deutlich komplexer und erfordert spezialisierte Kenntnisse sowie mehr Planungs- und Einrichtungszeit. Ein umfangreiches Lautsprechersystem muss sorgfältig positioniert, eingemessen und kalibriert werden, um ein optimales Hörerlebnis zu gewährleisten. Insbesondere hybride Events, die gleichzeitig gestreamt werden, profitieren von immersiven Audiotechnologien, da diese auch bei virtuellen Veranstaltungen die Klangqualität deutlich erhöhen und ein einheitliches Hörerlebnis für Präsenz- und Online-Publikum sicherstellen können.
Die organisatorische Seite ist ebenfalls anspruchsvoller: Veranstaltungen benötigen zusätzliches qualifiziertes Personal, das sich sowohl mit der Technik als auch mit den spezifischen Anforderungen immersiver Systeme auskennt. Weiterhin stellen die höheren Investitionskosten in Hardware und Software eine Herausforderung dar, insbesondere für kleinere Veranstalter.
Trotz dieser Herausforderungen bestätigen Praxisberichte und Erfahrungen vieler Veranstalter, dass der qualitative Mehrwert immersiver Audio-Erlebnisse sowohl die technischen als auch die finanziellen Investitionen rechtfertigt. Der Schlüssel liegt dabei in einer frühzeitigen, detaillierten Planung und einer engen Zusammenarbeit zwischen Technikern, Veranstaltern und Künstlern.
Ausblick und Trends – Immersive Live-Audio als Zukunft
Ob bei Open Air oder in Oper und Theater: Immersive Audio schafft ein klangliches Erlebnis, das weit über die klassische Stereo- oder Surround-Beschallung hinausgeht. Die Möglichkeit, Klangobjekte frei im Raum zu positionieren, verbessert die Durchhörbarkeit, steigert die Emotionalität und eröffnet ganz neue szenische Inszenierungen. Zwar sind die Investitionen in Hard- und Software höher, doch die Begeisterung des Publikums und der künstlerische Mehrwert machen diese Technologien für viele VeranstalterInnen und Häuser attraktiv.
Zukünftig dürfte sich der Einsatz von 3D-Audio in Livesituationen noch weiter verbreiten. Mit fortschreitender Standardisierung und sinkenden Kosten wird Immersive Audio zunehmend zum „Goldstandard“ für hochkarätige Events, während die fortschreitende Integration in Show-Control-Systeme (über Protokolle wie OSC) den Workflow weiter vereinfacht. So könnte Immersive Audio im Live-Bereich bald so selbstverständlich werden wie Stereo es einst war – nur, dass die klanglichen Möglichkeiten nun deutlich größer und eindrucksvoller sind.